Rede zum SPD-Antrag zum Thema Gehsteigbelästigung beim Plenum am 24. Mai 2023
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,
Gehsteigbelästigung beschreibt das Phänomen, bei dem Abtreibungsgegner*innen vor einer Beratungsstelle, in der Schwangerschaftskonfliktberatungen durchgeführt werden, oder vor Praxen und Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, das Demonstrationsrecht schamlos ausnutzen und für das sogenannte ungeborene Leben „demonstrieren“.
In diesen vermeintlichen „Demonstrationen“ wird oft laut für das ungeborene Leben gebetet, es werden den Passant*innen Schilder und Transparente mit falschen und irreführenden „Informationen“ und Bildern bspw. zur Entwicklung von Föten entgegengehalten. Und Patient*innen und Mitarbeiter*innen werden aktiv angesprochen, belästigt und teilweise bedroht.
In vielen Fällen sind auch Akteur*innen vom rechten Rand und christliche Fundamentalist*innen involviert.
Diese Demonstrant*innen wollen Schwangere aktiv davon abhalten, einen Abbruch durchführen zu lassen und Mitarbeiter*innen einschüchtern. Ende letzten Jahres gab es solch eine Kundgebung vor einer neu eröffneten Dortmunder Klinik, in der u.a. Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.
Es wurde mit Online-Videos zu dieser Kundgebung aufgerufen und die Informationen, die dort verbreitet wurden, waren falsch und teils verstörend. Auf einer Homepage wurde zukünftigen Mitarbeitenden bedroht, sich gut zu überlegen, ob sie dort arbeiten wollen. Andernfalls wurde ihnen online mit Gewalt gedroht.
Wie viele gesellschaftspolitische Themen rund um die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper sorgen Schwangerschaftsabbrüche immer wieder für besonders viel Diskussion: Denn neben dem ethischen Aspekt, wann menschliches Leben eigentlich beginnt, geht es immer wieder auch um die Macht über den weiblichen Körper, darum, wer über den Körper einer Schwangeren mit welchen Mitteln bestimmen darf. Für uns Grüne ist die Selbstbestimmung der Frauen über ihren eigenen Körper nicht verhandelbar.
Und ich bin dankbar dafür, dass alle demokratischen Fraktionen im letzten Plenum Haltung gezeigt und deutlich gemacht haben, das legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche überlebensnotwendig sind und der Zugang dazu allen Schwangeren ermöglicht werden muss.
Aber kommen wir noch einmal zurück zu dem, was vor gynäkologischen Praxen und Kliniken zuweilen los ist: Da werden Frauen, die sich eventuell in einem vulnerablen Ausnahmezustand befinden, auf dem manchmal schweren Gang zur Klinik oder Praxis belästigt und beschimpft.
Der Deutsche Juristinnenbund positioniert sich hierzu sehr klar und fordert, dass Gehsteigbelästigung – denn nichts anderes sind diese als Demonstrationen getarnten Ansammlungen von wütenden Menschen – dass Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit geregelt werden und mit Bußgeldern bestraft werden kann.
Uns Grünen ist an einer rechtssicheren Lösung sehr gelegen.
Es handelt sich hier jedoch um einen schwierigen Balanceakt auf einem sehr schmalen Grat. Es ist eine wichtige und mehr als berechtigte Forderung, Frauen in ihrer ohnehin schon schwierigen Situation vor den Belästigungen der Abtreibungsgegner*innen zu schützen. Und es müssen Wege gefunden werden, Gehsteigbelästigung an Orten, die Schwangere aufsuchen, um sich beraten zu lassen oder eine Schwangerschaft zu beenden, zu verbieten. Diese müssen aber so konzipiert sein, dass sie nicht im Ergebnis darin bmünden, das Versammlungsgesetzt grundsätzlich für alle zu verschärfen.
Ein vom Gunda-Werner-Institut in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, dass das Persönlichkeitsrecht einer schwangeren Person in der Regel schwerer wiegt, als die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit oder das Versammlungsrecht der Abtreibungsgegner*innen. Daher braucht es gezielte und spezifische Regelungen eben für solche Fälle.
Und nicht nur NRW ist davon betroffen. Auf Bundesebene wird bereits an diesem juristisch komplizierten Thema gearbeitet, damit es schnell zu einer bundeseinheitlichen Lösung kommt. Und mit Blick auf eine baldige bundesweite Lösung für diese ernste Problematik kommt die Forderung der SPD etwas zu spät.
Ich freue mich aber schon darauf, dass wir uns, sobald die rechtssichere Bundesregelung vorliegt, dann schnell an die Umsetzung machen können.
Den vorliegenden Antrag lehnen wir daher ab.
Vielen Dank.